Politik

Wenn Sie aus der Politik kommen

– egal ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene – dann möchten wir Sie einladen, sich diesem Thema des Behörden- und Justizversagens in seiner ganzen Tiefe zu stellen.

Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren, denn man sollte sich einiges an Wissen aus völlig unterschiedlichen Fachbereichen aneignen, um am Ende verstehen zu können, wo die Haken und Fallstricke in der Praxis sind.

Sie alle werden die Schlagzeilen kennen und vielleicht auch die ein oder andere Doku zu Missbrauchskomplexen gesehen haben.

Am wichtigsten ist zu verstehen, dass all diese Fälle keine tragischen Einzelfälle sind, sondern nur die Spitze des Eisbergs. Denn die wenigsten schaffen es in die Medien und noch weniger Fälle verursachen so einen großen Aufschrei, dass der Druck auf die Politik letzten Endes zu Gesetzesänderungen und Änderungen in der Praxis führt.

Vergessen Sie einen Moment, woher Sie beruflich kommen. Selbst wenn Sie Jurist sind, legen Sie diese Brille einmal ab und lassen den Gedanken zu, dass es nicht in allen Rechtsbereichen so “glatt läuft” wie Sie es aus dem Strafrecht gewohnt sind.

“Ich komme ursprünglich aus dem Strafrecht und war jahrzehntelang von der Professionalität und (fast) Unfehlbarkeit unseres Rechtsstaates überzeugt. Dann kam ich ins Familienrecht und habe festgestellt, dass hier völlig andere Gesetze zu gelten scheinen. Das Vorgehen vieler Familiengerichte erinnert mich eher an den Wilden Westen.” Strafrechtsanwalt

Bei allem Verfechten des berechtigten Grundgedanken eines funktionierenden Rechtsstaates bedenken Sie, dass dieser auch nur aus Menschen besteht.

Und Menschen machen Fehler, sind personell unterbesetzt, haben Probleme untereinander, haben Angst vor beruflichen Konsequenzen und halten dann lieber den Mund, als noch einmal nachzuhaken. Jugendämter wissen, dass sie auch zukünftig mit Gerichten zusammenarbeiten müssen und überlegen sich zwei Mal, ob sie Widerspruch einlegen in einem Fall. Zudem gibt es Machtgefälle und finanzielle Abhängigkeiten in fast alle Richtungen.

“Ein Richter bestand darauf, dass ich das Kind in seinem Beisein anhöre. Diese Forderung darf er rein rechtlich nicht stellen, aber er machte mir klar, dass er mich nicht mehr bestellen würde, wenn ich mich jetzt “durchsetze”. Natürlich gab es keine Beweise für dieses Gespräch und ich stand vor der Wahl, ob ich nie mehr einen Job als Verfahrensbeistand an diesem Gericht bekommen würde, oder ob ich ihn zuhören lasse und Gefahr laufe, dass sich das Kind mir nicht anvertraut, weil es eingeschüchtert ist durch seine Präsenz.”
Verfahrensbeiständin

Dazu kommt: All diese Menschen in unserem Rechtsstaat können selbst Täter sein.

Diese Täter und Täterinnen gibt es in allen sozialen Schichten, auch in Jugendämtern, bei der Polizei, in der Richterschaft und auch unter Ihren politischen Weggefährten.

Das Problem ist: Wenn sich Macht an einzelnen Stellen so konzentriert, wie es im Familienrecht aktuell der Fall ist und es keine verlässliche Form der Kontrolle gibt, ist Machtmissbrauch vorprogrammiert.
Dabei können wir es uns gerade im Kinderschutz nicht erlauben, darauf zu hoffen, dass Menschen die Macht, die ihnen durch ihr Amt gegeben ist, nicht missbrauchen.

“Wo sich Macht konzentriert, braucht es Transparenz und Kontrolle.” Sonja Howard

Kinder sind in den meisten Lebensbereichen völlig machtlos und den Erwachsenen in ihrem Umfeld ausgeliefert, ganz besonders Entscheidungen von Behörden und Gerichten. Die Kinder, die es schaffen, sich an externe Dritte zu wenden, erfahren dann regelmäßig die vorprogrammierte Hilflosigkeit, da es nicht vorgesehen ist, dass sich Fachleute von außen in diese geschlossenen Systeme vor Ort einmischen. Auch dann nicht, wenn sämtliche externe Fachleute zu der Überzeugung gelangt sind, dass hier das Kindeswohl von staatlicher Seite massiv gefährdet wird.

Was sagt man einem 13-jährigen Mädchen, das verzweifelt schreibt: “Wenn du und so viele andere wissen, dass das falsch ist, was hier mit mir passiert, warum kann mir dann keiner von euch helfen?”

Erfahrungsgemäß schrecken Menschen aus der Politik sofort zurück, wenn sie mit einem Fall konfrontiert werden, in dem bereits Gerichtsverfahren laufen. Dann heißt es schnell: “Gewaltenteilung! Die Politik darf sich da nicht einmischen!”

Oder: “Wir sind nur zuständig für Aufarbeitung, wir können keine Intervention leisten.” Und niemand scheint darüber nachzudenken, dass es bundesweit eben keine Stelle für Intervention bei schief laufenden Fällen gibt.

Oder dass die richterliche Unabhängigkeit eben nicht in richterliche Willkür ausarten darf. Doch diese Gedanken müssen zu Ende gedacht und diese Fragen müssen gestellt werden:

Was machen wir, wenn die Stellen, die intervenieren könnten, da sie ein staatliches Wächteramt haben, ihren Job nicht richtig machen?

Was machen wir, wenn ein Jugendamt alles richtig macht und ihnen dann die richterliche Unabhängigkeit in die Quere kommt, weil ein Richter nach “Ermessen” urteilt – was auch gern mal nichts weiter als persönliche Überzeugungen und Meinungen sind?

Was machen wir mit machtmissbrauchenden Gerichten, die gegen internationales Völkerrecht verstoßen, den Willen von Kindern auf brutalste Weise brechen und sie durch ihre Unrechts-Sprechung weiterer Gewalt aussetzen?

Was machen wir mit der Tatsache, dass der Weg zur dritten Instanz – dem BGH – im Familienrecht meist versperrt ist, also eine Kontrollinstanz einfach fehlt?

Das ist nur eine Auswahl an dringenden Fragen. Und all diese Fragen muss die Politik irgendwann beantworten.

Elementare Rechtsgüter wie die richterliche Unabhängigkeit sind kein Grund, sich gar nicht erst anzuschauen, was schieflaufen kann.

“Nur ein laufend fortgebildeter und informierter Richter kann wirklich unabhängig sein.”
Familienrechtsexperte Prof. Dr. Ludwig Salgo

Und die Tatsache, dass man in einem konkreten Fall nicht helfen kann, ist kein Grund, das Thema überhaupt nicht anzugehen.

Im Jahr 2019 wurde ein Familienrichter wegen des Besitzes von sogenanntem kinderpornographischen Material verurteilt. Wir müssen wohl nicht diskutieren, wie dieser Richter geurteilt haben wird, wenn ein Missbrauchsverdacht bei einem Kind im Raum stand. Trotzdem ist es bislang nicht vorgesehen, dass “Alt-Fälle” verurteilter Richter neu aufgerollt werden.

Und selbst wenn ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, gibt es keine Möglichkeit, andere, ähnliche Urteile derselben Richter neu beurteilen zu lassen – auch wenn bereits nach Aktenlage offensichtlich ist, dass nach dem immer gleichen (verfassungswidrigen) Muster geurteilt wird.

Sie sehen, es gibt sehr viele Stellschrauben, doch bevor Sie sich auf eine stürzen, möchten wir Sie einladen, sich einmal unsere Fallbeispiele durchzulesen, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie vielfältig das staatliche Versagen im Kinderschutz sein kann.

Wir empfehlen auch immer den Austausch mit Betroffenen. Sowohl mit mittlerweile Erwachsenen, die von Behörden- und Justizversagen in Ihrer Kindheit betroffen waren, als auch mit Elternteilen, die jetzt im Moment versuchen, ihr Kind zu schützen und dringend unser aller Hilfe und Engagement brauchen.