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Gewalt und Missbrauch an Menschen mit Behinderung

– Ein lebenslanges Gefängnis –

Mein Name ist Miriam Fankhänel, ich bin Sozialarbeiterin in Ausbildung und durch eine Frühgeburt in der 28. Schwangerschaftswoche behindert.

Ich erlitt eine frühkindliche Hirnschädigung (Infantile Cerebralparese), die sich in einer spastischen Lähmung an allen vier Gliedmaßen (Tetraspastik) äußert.

Auf Grund meiner eigenen Erfahrungen und einiger Berichte von Betroffenen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, aufzuklären und zu sensibilisieren. Denn ich habe das Privileg, mich mitteilen zu können.

Vielen behinderten Menschen wird auf Grund ihrer Behinderung grundsätzlich eine Mündigkeit im Leben abgesprochen und die Ernsthaftigkeit ihrer Aussagen werden angezweifelt. Wenn die Behinderung sich zusätzlich oder ausschließlich auf die geistigen Fähigkeiten beschränkt, läuft man als betroffene Person unweigerlich gegen eine Wand, wenn man versucht, auf Gewalt und Missbrauch innerhalb der eigenen Familie aufmerksam zu machen.

Im Nachfolgenden möchte ich gerne auf einige Fakten aufmerksam machen, die in den wenigsten Fällen mitgedacht und mitbedacht werden, aber für gewalt- und missbrauchsbetroffene Behinderte von existenzieller Wichtigkeit sind.

Es gibt zurzeit in Deutschland nur eine Beratungsstelle, die komplett barrierefrei ist.
Das Mädchenhaus Bielefeld e. V. hat neben ihrem Wohnangebot auch die Beratungsstelle „Mädchen sicher inklusiv“ ins Leben gerufen und unterstützt sowohl online als auch vor Ort Mädchen und Frauen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen.

Ich finde es erschütternd, dass es im Jahre 2023, immer noch Beratungsstellen gibt, die beispielsweise von einem Rollstuhlfahrer wegen fehlender Barrierefreiheit nicht erreicht werden können, oder von gehörlosen Menschen nicht besucht werden können, weil kein Dolmetscher zur Verfügung steht.
Ebenso ist es aus meiner Sicht notwendig, sowohl Pflegepersonal als auch private Bezugspersonen und Lehrer zu schulen, sodass Gewalt erkannt wird und eingegriffen werden kann. Die Abhängigkeit von Bezugspersonen und Pflegepersonal ist oft ein sehr großer Faktor. Behinderte haben meist nicht die Möglichkeit selbstständig Beratungsstellen aufzusuchen oder sie werden in der Internet- bzw. Telefonnutzung kontrolliert. Das Hinschauen der Gesellschaft ist unablässig, denn diese Aufmerksamkeit ist für einige die einzige Rettung.

Wichtig ist: Gewalt lässt sich nicht pauschal erklären. Sie fängt nicht erst bei Schlägen an, auch drohen, beleidigen, jemanden vernachlässigen, ausnutzen oder zu etwas zwingen ist schon Gewalt.

Oft wird hierbei auch vergessen: Die Abhängigkeit zwischen Täter und Opfer kann meist NICHT mit dem 18. Geburtstag beendet werden!

Durch die Pflegebedürftigkeit des Behinderten und die scheinbar aufopferungsvoll pflegenden Familienmitglieder, die dem Staat durch diese Care Arbeit ja Kosten ersparen, nimmt die Abhängigkeit exorbitante Ausmaße an.

Des Weiteren ist es heute noch leider weit verbreitet, dass von Frauen und Mädchen mit Behinderung verlangt wird, sich aus pflegerischen Gründen die Gebärmutter entfernen zu lassen oder die Pille durchgehend zu nehmen. Auch das ist Gewalt, denn jeder sollte das Recht haben, frei über den eigenen Körper zu entscheiden.

Doch was kann man tun, wenn man den Verdacht hat, dass jemand von Gewalt betroffen ist?
Ich empfehle, wenn möglich, erstmal mit dem mutmaßlich Betroffenen über den Gewaltverdacht zu sprechen, natürlich mit Dolmetscher, wenn nötig. Wenn verändertes Verhalten, ungewöhnliche Verletzungen (die nicht von einem Sturz sein können), Flüssigkeitsmangel bzw. Unterernährung, mangelnde Hygiene oder medizinische Versorgung auffallen, sollte man erst einmal dem mutmaßlichen Opfer Schutz und Hilfe anbieten. Voreilige Schuldzuweisungen bringen in dieser Situation nichts. Es geht in einer akuten Situation darum, zu der betroffenen Person Vertrauen aufzubauen, alle weiteren Schritte mit ihr zu besprechen und nichts über den Kopf dieser Person hinweg zu entscheiden.
Wenn sich ein Mensch mit Behinderung einem anvertraut, passiert es oft, dass man vollkommen überfordert mit der Situation ist. Hilflosigkeit und Verdrängung sind meist eine ganz natürliche Reaktion. Doch genau hier ist es wichtig, weiter zu gehen und, wenn möglich, mit der Person gemeinsam eine Beratungsstelle aufzusuchen, um die Situation zu schildern, sodass man einen geeigneten Weg finden kann, für schnellstmöglichen Schutz zu sorgen. Das steht an oberster Stelle, dabei sollte auch nicht gezögert werden, die Polizei einzuschalten.

Ich bin mir absolut sicher, dass der Großteil des Pflegepersonals und der pflegenden Angehörigen eine unersetzliche Arbeit tun. Ohne deren Engagement könnten wir nicht so leben wie wir leben.
Aber gerade, weil viel mehr als vermutet im Verborgenen stattfindet, ist es für mich wichtig, darauf aufmerksam zu machen.

Dazu gehört auch die Tatsache, dass Kinder mit Behinderung einem drei Mal höheren Risiko ausgesetzt sind, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden.

Ich möchte, dass zugehört und hingesehen wird, dass die Bedürfnisse behinderter Menschen wahrgenommen werden und verbogenes, lebenslanges Leid vermieden wird.

SPFH – Sozialpädagogische Familienhilfe

Simone Schulz ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet als SPFH bei einem freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe.

Sie arbeitet pro Woche 40h in “ihren” Familien und macht im Notfall auch Überstunden.

Als Dozentin arbeitet sie mit Familien mit sozialem Unterstützungsbedarf in diversen Projekten, hat Aus- und Weiterbildungspädagogik studiert und setzt sich auch in ihrer Freizeit für den Kinderschutz ein.

Da sie selbst drei Jahre mit einem Burnout zu kämpfen hatte, weiß sie sehr gut, dass das Leben nicht immer nach Plan verläuft.

Ein Erfahrungsbericht

Die sozialpädagogische Familienhilfe ist ein Angebot der Jugendämter in Deutschland. Sie kommt zum Einsatz durch Bestimmung von Familiengerichten, durch Festlegung des Jugendamtes oder durch Anfrage von Elternteilen, die ihren Hilfebedarf offenlegen.

Es ist eine gute Möglichkeit für junge Familien, Alleinerziehende oder in Trennung lebenden Personen, Unterstützung im Finden der Alltagsstruktur sowie der Vernetzung mit Ämtern, Behörden und Beratungsstellen zu ermöglichen.

Hierbei spielen die eigenen Kompetenzen und Erfahrungen eine wesentliche Rolle. Eine SPFH ist als eine Person des Vertrauens zu betrachten, die unter Umständen durchaus sehr viel Elend sieht und gewillt sein muss, eigene Standards für ihr Leben dabei zu vergessen. Das gilt z.B. für die Wohnungseinrichtung oder den Grad an Ordnung oder Hygiene, an den man gewöhnt ist.

“SPFH zu sein bedeutet in der Praxis: Mitdenken und Anpacken!” Simone Schulz

In aller erster Linie geht es um Vertrauensaufbau, Sichtung der Herausforderungen, Erarbeiten einer für die Klienten möglichen Alltagsstruktur, Vorbereiten von Terminen, Begleitung und Rückenstärkung bei Ämtern und Behörden, Netzwerkaufbau für die gesunde Entwicklung der Kinder sowie des Elternteils, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Erarbeitung eines Haushaltsplanes inklusive Einführung einer Haushaltsbuchführung, um der Verschuldung der Haushalte vorzubeugen oder auch Hilfe bei der Einleitung des Privatinsolvenzverfahrens.

Es wird nach Lösungen gesucht, wie Kinder altersgerecht mit anderen Kindern regelmäßig in Kontakt treten können, z.B. durch Kita, Hort, Sportvereine. Entsprechende Anträge werden gemeinsam ausgefüllt und eingereicht.

Die Begleitung zu Arztterminen wird als wichtig erachtet, um etwaigen Förderbedarf beizeiten zu erfahren, um z.B. Ergotherapeuten, Logopäden, psychotherapeutische/psychologische Unterstützung hinzuzuziehen.

Grundlegender Unterstützungsbedarf für eine gesunde Küche, also preiswertes Einkaufen und die Essenszubereitung können genauso in die Bedarfsplanung der Familie im Rahmen von Hilfeplan-Gesprächen mit dem Jugendamt eingearbeitet werden, wie die Abendritual-Struktur, wenn Kinder nicht zur Ruhe kommen und auch nach 22.00 Uhr noch wach sind.

All diese Aufgaben werden tatsächlich erst real sichtbar, wenn das Vertrauen aufgebaut wurde und man regelmäßig für einen längeren Zeitraum in der Familie arbeitet.

Ist dieses Vertrauen einmal da, kann man eine richtige Stütze im Alltag sein, die auch Hausaufgaben mit den Kindern macht, vorliest, mit ihnen spielt oder auch einfach auf den Spielplatz geht, um das Elternteil ein wenig zu entlasten.

So sieht die Arbeit einer SPFH im Idealfall aus.

Nach einiger Berufserfahrung als Dozentin, als Fachkraft für Kinder- und Jugendarbeit und nun auch im Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung stelle ich aber leider auch einige negative Aspekte fest, die ich bereits von den Familien erfahren habe, in denen es Vorgänger-Unternehmen gab.

Betroffene Familien berichteten mir schon häufiger von SPFHs anderer Unternehmen, die sich überhaupt keine Zeit nahmen, kurz nach aktuellen Befindlichkeiten fragten und sofort wieder verschwanden.

Es fielen Sätze wie “Wenn Sie das jetzt nicht machen, nehmen wir Ihnen das Kind weg”, die natürlich einem Vertrauensaufbau komplett im Weg stehen und unnötig Angst und Druck aufbauen.

Manche SPFH sieht ihre Aufgabe selbst in einem langfristigen Arbeitsverhältnis offenbar lediglich darin, die Kinder gemeinsam mit den Eltern von der KiTa abzuholen und dann wieder zu gehen.

So ein Vorgehen nenne ich massives Fehlverhalten, mangelnde Qualifikation und mangelnde persönliche Eignung.

Wer Druck ausübt, hat in diesem Arbeitsfeld schlicht nichts verloren. Es ist völlig vermessen, von Familien zu verlangen, dass sie etwas nun sofort hinbekommen, das vorher nicht geklappt hat. Es geht um aktives Vorleben der nötigen Schritte, um das Zeigen, das gemeinsame Durchführen. Es geht darum, auch Rückschritte in Kauf zu nehmen und trotzdem dran zu bleiben.

Ein bisschen kann man es mit einer Berufsausbildung vergleichen.

Wenn ich bspw. eine dreckige Wohnung vorfinde, hat die meist alleinerziehende Mutter andere Sorgen und Nöte. Da braucht sie keine Vorwürfe und Anklagen, sondern jemanden, der einfach mal mit anpackt. Dann heisst es für mich: Putzhandschuhe und Putzmittel mitbringen und dann wird Zimmer für Zimmer gemeinsam auf Vordermann gebracht.

Dann wird einfach mal ein paar Stunden aussortiert, umgeräumt, um für Platz zu sorgen, man hilft aktiv dabei, gebrauchte Möbel zu suchen – gern über Caritas, Malteser und andere Second-Hand-Kaufhäuser. Echte Lebenshilfe also.

Wenn man als SPFH gute Arbeit leistet, merkt man das auch sehr schnell an zunehmenden Anfragen durch das Jugendamt. Wieviel Zeit man in einer Familie verbringt, ist Verhandlungssache und man kann mit etwas Einsatz die bestmögliche fallbezogene Unterstützung für eine Familie erlangen, so dass auch die Angst vor einer Inobhutnahme wieder verschwindet.

Jugendämter bezahlen für die Arbeit der SPFHs in der freien Kinder- und Jugendhilfe gutes Geld an diese Unternehmen. Doch es sind längst nicht alle Mitarbeitenden fundiert auf diese Arbeit vorbereitet.

Wenn Familien bereits die dritte Fachkraft von unterschiedlichen Anbietern abgelehnt haben, weil es keine positiven Veränderungen zu verzeichnen gibt, liegt der Fehler selten in den Familien selbst. Und dann müssen eben die Jugendämter auch einmal genauer hinschauen, wen sie da eigentlich für was genau bezahlen.

“Vom Ziel haben viele Menschen einen Begriff, nur möchten sie es gerne schlendernd erreichen.” Goethe

Natürlich gibt es hilferesistente Familien, aber selbst in diesen gibt es noch immer mildere Mittel, bevor als letzter Ausweg eine Inobhutnahme der Kinder diskutiert wird.

Und nein, es gibt natürlich keine Pro-Kopf-Pauschale für in Obhut genommene Kinder.

Ziel unserer Arbeit sollte ja genau das sein: Dass Kinder nicht fremduntergebracht werden müssen.

Das ist das Ziel und wie immer im Kinderschutz eine Frage der Haltung.

Was macht erzwungener Umgang mit Kindern?

“Meine Eltern trennten sich, als ich 6 Jahre alt war. Ich war daraufhin jedes zweite Wochenende bei meinem Vater.
Als ich älter wurde und er mit seiner neuen Frau und deren Kindern zusammengezogen war…