“Häusliche Gewalt ist eine der ernstzunehmendsten und allgegenwärtigsten Menschenrechtsverletzungen, insbesondere weil sie Frauen und Kinder betrifft. Obwohl Männer auch Opfer häuslicher Gewalt werden können, sind Frauen einem viel höheren Risiko ausgesetzt und die Dynamiken der Gewalt unterscheiden sich für Männer.”
UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem
*übersetzt aus “Custody, violence against women and violence against children” vom 13.04.23 United Nations, Human Rights Council
Das Problem
Gesellschaft und Politik stellen sich den Schutz von Kindern oft so leicht vor. Man meint, es herrscht Konsens. Gewalt in der Erziehung ist seit dem Jahr 2000 gesetzlich verboten, im Jahr 2011 wurde die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern von Deutschland ratifiziert, es gibt Aufklärungs-Kampagnen des Familienministeriums, sogar das Thema sexueller Missbrauch kommt langsam im Bewusstsein der Öffentlichkeit an.
Doch es gibt einige Fragen, deren Antworten mehr als unbefriedigend sind.
Was passiert, wenn ein Kind sich von sich aus hilfesuchend an den Staat wendet?
Was passiert, wenn ein schützendes Elternteil sich Hilfe vom Staat erhofft?
Was passiert, wenn derjenige, von dem Gewalt oder Missbrauch ausgehen, das Sorgerecht hat?
Jede Stadt, jeder Landkreis, jeder Gerichtsbezirk arbeitet in der Praxis für sich. Es gibt unfassbar gute staatliche Akteure – und katastrophal schlechte. Hier einmal ein kurzer Überblick über die Praxis der Behörden und Justiz, die regelmäßig nicht für den Schutz von Kindern sorgen:
“Bei einem unüberwindbaren Konflikt zwischen Elternrecht und Kindeswohl haben die Bedürfnisse und die Sicherheit des Kindes und des gewaltbetroffenen Elternteils absoluten Vorrang.” Prof. Dr. Ludwig Salgo, Familienrechtsexperte
- Erlebte Gewalt führt nicht automatisch zum Schutz von Kindern vor dem Familiengericht.
- Selbst rechtsmedizinisch nachgewiesene häusliche Gewalt reicht manchen Gerichten nicht aus, um einen Umgangsauschluss zu beschliessen.
- Auch einem von Fachleuten geäusserten Verdacht auf sexuellen Missbrauch wird regelmäßig nicht nachgegangen. Im Gegenteil, die Erhebung des Verdachts wird nicht selten entgegen aller Beweise der Mutter in die Schuhe geschoben und als “Rache-Akt” umgedeutet.
- Die Expertenkommission GREVIO des Europarates hat die mangelnde Umsetzung der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt im Jahr 2022 gerügt. Trotzdem ignoriert die Politik großflächig diese Menschenrechtsverletzungen.
“Das Vorliegen von Partnerschaftsgewalt scheint in der gerichtlichen Entscheidungspraxis zu Umgangsregelungen kaum eine Rolle zu spielen.” KfN-Studie Stiller/Schuhr
- Auch Gewalttäter können Anträge zum Umgang oder Sorgerecht beim Familiengericht stellen. Kommt dieses seiner Amtsermittlungspflicht nicht nach und lässt die Gewalt unter den Tisch fallen, bedeutet das, dass Kinder gegen ihren Willen in Umgangskontake mit ihren Schädigern gezwungen werden.
- Wenn ein Kind von erlebter Gewalt berichtet, bedeutet das nicht automatisch, dass diesem Kind geglaubt wird. Im Gegenteil, oft wird dem schützenden Elternteil unterstellt, das Kind manipuliert zu haben. Selbst wenn Kinder zu krassen Mitteln wie Flucht zum bevorzugten Elternteil wählen, zählt ihre Willensbekundung regelmäßig nicht.
- Aktuellste Erkenntnisse aus der Bindungsforschung werden nach wie vor häufig ignoriert. Dann behaupten staatliche Akteure gern einmal, dass es nicht traumatisierend sei, ein Kind gegen seinen Willen zum abgelehnten Elternteil umzuplatzieren und die Beziehung zur Hauptbindungsperson zu unterbinden.
“Im Zweifel gebührt dem Schutz des Kindes Vorrang. Einer möglichen Entfremdung durch Aussetzung des Umgangs ist das Risiko einer weiteren Traumatisierung durch vorschnelle Umgangsgewährung gegenüberzustellen.” Cirullies, 2019
- Es gibt an vielen Gerichten keine gelebte Fehlerkultur. Wenn Kinder nach Entscheidungen psychisch auffällig werden bis hin zur Unbeschulbarkeit, wird das Kind pathologisiert, in ein Heim oder eine Psychatrie gesteckt, anstatt dass die offenkundig falsche Entscheidung rückgängig gemacht wird und das Kind zu dem Elternteil, bei dem es vor der staatlichen Einmischung gelebt hat, zurück kehren darf.
- Wenn gewaltbetroffene Mütter mit ihren Kindern in ein Frauenhaus fliehen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie sicher sind. Oft erleben sie dann Gewalt durch Jugendämter, Gutachter und Familiengerichte, die sie zwingen, mit dem Gewalttäter gemeinsam eine Elternberatung oder Mediation zu machen, mit ihm das Wechselmodell zu leben und ihre Kinder in den Umgang mit dem gewalttätigen Vater zu nötigen. Das alles ist gesetzlich verboten und trotzdem in manchen Gerichtsbezirken an der Tagesordnung.
“Kinder und Jugendliche erleben eine körperliche Bedrohung gegenüber einem betreuenden Elternteil, meist der Mutter, auch als Bedrohung gegen sich selbst – oft sogar schlimmer, als eine Bedrohung gegen sich selbst.” Ziegenhain, Kindler&Meysen, 2021
- Da es weder für Jugendämter noch für Gerichte Kontrollinstanzen oder Transparenz nach außen gibt, können sich unwissenschaftliche Ideologien und Glaubenssätze ungehindert breit machen. Auch Ausläufer der Schwarzen Pädagogik finden sich nach wie vor in gerichtlichen Beschlüssen. So heisst es dann: “Der Wille des Kindes ist unerheblich”, “Der Wille des Kindes muss gebrochen werden”, “Das Kind soll in einem Heim untergebracht werden, bis es freiwillig zum Vater geht”.
- Beschreibende Begrifflichkeiten, die der Alltags-Psychologie entspringen, wie bspw. “Bindungsintoleranz” werden zu akuten Kindeswohlgefährdungen hochstilisiert, um dem “bindungsintoleranten” Elternteil das Kind per Beschluss gewaltvoll entreissen zu lassen.
- Unwissenschaftliche Ideologien wie das PAS-Syndrom (“Eltern-Kind-Entfremdung”) des Pädosexualität-befürwortenden Psychiaters Richard Gardner werden nach wie vor in Fortbildungen und an Hochschulen für Soziale Arbeit gelehrt. Richard Gardner ist wegen seiner menschenverachtenden und kindeswohlgefährdenden Schriften international in Verruf geraten, ähnlich dem deutschen Kinderpsychiater Michael Winterhoff oder dem Professor für Sozialpädagogik Helmut Kentler.
- Dem gegenüber steht tatsächliche Manipulation von Kindern aus reinen Hass- oder Rache-Motiven dem Ex-Partner gegenüber oder Manipulation durch Gewaltäter*innen, die oft über Jahre der Nicht-Intervention Zeit hatten, Kinder einer regelrechten Gehirnwäsche zu unterziehen, die ebenfalls von vielen Fachleuten nicht durchschaut wird. Diese Art der Täter*innen-Strategien findet sich u.a. in extremen Religionen und Sekten, was die angeblich gottgewollte Legitimität körperlicher Züchtigung angeht oder bei Betroffenen sexualisierter Gewalt, die den Missbrauch scheinbar freiwillig einfordern.
“In Kürze wird es sich kein Ministerium und niemand aus der Kinder- und Familienpolitik mehr
leisten können, öffentlich zu behaupten, es gäbe kein Problem. Es ist da, es ist international
dokumentiert, diese Fälle gibt es in vielen anderen Ländern auch und es ist höchste Zeit,
dass endlich alle zu ihrer Verantwortung stehen.” Dr. Wolfgang Hammer, Soziologe
Hinweis: In dubio pro infante weiss, dass auch Mütter Gewalt ausüben können und nicht selten Mit-Täterinnen sind. Und dass es auch viele Mütter gibt, die die Gewalt, die ihre Kinder erleben, verleugnen und sich auf die Seite des Täters stellen. Unser Fokus sind Kinder und wir stellen uns immer auf die Seite derjenigen, die sich für das jeweilige Kind einsetzen – völlig egal, ob es die Mutter, der Vater, eine Pflegefamilie, eine Wohngruppe oder sonst jemand ist. Trotzdem sind die Zahlen eindeutig: Es gibt ein massives Geschlechter-Ungleichgewicht zu Ungunsten von Müttern. Die meiste Gewalt geht von Männern aus, das ist wissenschaftlich hinlänglich erwiesen. Und dieses massive Ungleichgewicht lässt sich auch in den unzähligen Fällen erkennen, die an uns herangetragen werden.