Ein Kind, das gegen seinen Willen und unter Anwendung von Polizeigewalt aus seinem Kinderzimmer gezerrt wird, weil es durch richterlichen Beschluss bei seinem gewalttätigen Vater leben soll? Richter und Richterinnen, die im Sinne von Sexualstraftätern entscheiden, Verfahrensbeistände ohne jegliche Qualifikation und Jugendamts-Mitarbeiter, die den Kindern eine blühende Phantasie unterstellen? Im Rechtsstaat Deutschland?
Was auf den ersten Moment klingt wie die Inhaltsangabe einer schlecht recherchierten und sensationsheischenden Vorabendserie, ist leider viel zu oft brutale Realität an deutschen Familiengerichten.
Aber warum passiert nichts? Warum dürfen Richter und Richterinnen ungestört nach Lust und Laune am Kindeswohl vorbei entscheiden, warum dürfen unausgebildete Hobbyexperten Gutachten erstellen, warum bleibt wiederholtes Justiz- und Behördenversagen in Deutschland ohne Konsequenz für die involvierten Akteure und warum ist eine systematische institutionelle Gewalt an Kindern in diesem Land möglich?
Schon 2002 stellte die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in einem ergänzenden Bericht zum Zweitbericht der BRD an die Vereinten Nationen fest, dass „weder das deutsche Verfassungsrecht, noch ein einfaches Gesetzrecht einen Kindeswohlvorrang begründen.
Auch eine exemplarische Betrachtung der deutschen Rechtsprechung und von Verwaltungsentscheidungen zeigt, dass sich Gerichte und Verwaltungen in Deutschland nicht immer und jedenfalls nicht vorrangig am Kindeswohl orientieren.(…) Außerdem mangelt es an Mindeststandards für die Ausbildung von Verfahrenspflegern.” Die National Coalition, ein Netzwerk von rund 100 Mitgliedsorganisationen zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ist 2002 der Auffassung, „dass es in Deutschland dringend einer bereichsunabhängigen gesetzlichen Festschreibung des Prinzips des Vorrangs des Kindeswohls bedarf“ und empfiehlt, „im Rahmen des Sorge- und Umgangsrechts festzulegen, dass ein dem Umgang mit einem Elternteil oder anderen Berechtigten entgegenstehender Wille des Kindes im Zweifel dahin auszulegen ist, das der Umgang dem Wohl des Kindes widerspricht“. 20 Jahre später ist die Bundesrepublik Deutschland dieser Empfehlung nicht nachgekommen. Auch heute noch gilt die von der National Coalition im Jahre 2002 gemachte Beobachtung, es „mangelt an permanenten und effektiven Kontrollen, um die Umsetzung der Kinderrechte auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu überwachen.“ Im Jahre 2021 scheiterte die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz im deutschen Bundestag und laut dem Kinderhilfswerk wurde damit „eine historische Chance verpasst, die Rechte von Kindern nachhaltig zu stärken.“ Die Gewalt gegen Kinder befindet sich nach wie vor in einem Aufwärtstrend und Expertinnen und Experten sind sich einig, dass sich der Kinderschutz in Deutschland in einem vernachlässigten bis desaströsen Zustand befindet. Es fehlt an Interesse, Geld und Aufmerksamkeit. Ich unterstütze die Initiative In dubio pro infante aus tiefstem Herzen, denn ein „Doppelwumms“ für Kinder ist dringend notwendig. Wir müssen den Druck auf politische EntscheidungsträgerInnen deutlich erhöhen, wir müssen laut werden und unsere Stimme erheben für die kleinsten Mitglieder unserer Gesellschaft, um den Kindern in diesem Land endlich den Schutz zu ermöglichen, der ihnen zusteht – auch vor einer missbräuchlichen deutschen Justiz. Für ein kindersicheres Rechtssystem.